Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung und Prävention

Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung und Prävention

Wie las­sen sich Gefähr­dun­gen am Arbeits­platz prä­ven­tiv vermeiden?

  • Durch eine Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung wer­den mög­li­che Gefähr­dun­gen und kon­kre­te Gefah­ren erkannt, die zu einer Gesund­heits­schä­di­gung der Arbeit­neh­mer eines Betriebs füh­ren können.
  • Erfah­ren Sie in die­sem Text mehr über die Werk­zeu­ge einer Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung und wie sich hier getä­tig­te Inves­ti­tio­nen in unter­neh­me­ri­schen Gewinn verwandeln.
  • Das Abstel­len der Gefahr (oder das Tref­fen einer Vor­sor­ge­maß­nah­me) macht nicht nur einen Betrieb zu einem siche­ren Ort, son­dern zu einem attrak­ti­ven Arbeit­ge­ber mit effek­ti­ve­ren Pro­zes­sen und moti­vier­te­ren Mitarbeitern.

Arbeit­neh­mer haben Anspruch auf einen Arbeits­platz, der sie nicht krank­macht (oder ggf. bestehen­de Krank­hei­ten nicht ver­stärkt). Also haben Beschäf­tig­te einen Anspruch auf einen siche­ren, gesun­den Arbeits­platz. Wann ist jedoch ein Arbeits­platz unsi­cher? Und wie lässt sich ein unsi­che­rer Arbeits­platz wie­der sicher machen? Die­se Fra­gen sind Kern­the­men der Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung, die in jedem Betrieb sowohl regel­mä­ßig als auch anlass­be­zo­gen unter­sucht wer­den müs­sen. Die Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung wur­de unter ande­rem in den §§ 5, 6 Arbeits­schutz­ge­setz nor­miert (auf den in § 5 gere­gel­ten Kata­log der zu ermit­teln­den Gefähr­dun­gen kom­me ich spä­ter zu spre­chen). Der Arbeits­me­di­zi­ner muss sich im Rah­men einer Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung in zahl­rei­che Hand­lungs­ab­läu­fe der Arbeit­neh­mer des Betriebs hin­ein­ver­set­zen und sich dabei stän­dig die Fra­ge stel­len, was in den kon­kre­ten Arbeits­schrit­ten mög­li­cher­wei­se eine Gefahr dar­stel­len kön­ne. Die­se Beur­tei­lung ist aus 3 Grün­den ein schwie­ri­ger und vor allem indi­vi­du­el­ler Pro­zess. Ers­tens müs­sen alle (auch auf den ers­ten Blick noch so unwahr­schein­li­che) Even­tua­li­tä­ten Berück­sich­ti­gung fin­den. Es wäre also nicht legi­tim, beim Arbeit­neh­mer auf eine ratio­nal han­deln­de Per­son abzu­stel­len, son­dern es müs­sen fach­li­che Feh­ler eben­so berück­sich­tigt wer­den wie pure Schus­se­lig­kei­ten. Zwei­tens muss bei die­sem Pro­zess, also bei der Ana­ly­se mög­li­cher Gefah­ren, in prak­ti­scher Hin­sicht auf typi­sche Grup­pen in der Beleg­schaft abge­stellt wer­den, um nicht jeden ein­zel­nen Arbeit­neh­mer und jeden ein­zel­nen Arbeits­platz ein­zeln unter­su­chen zu müs­sen. Zwei Schlos­ser oder Lackie­rer haben in einem Betrieb sehr wahr­schein­lich iden­ti­sche Gefahrein­wir­kun­gen zu befürch­ten, es sei denn ihre Arbeits­plät­ze oder kon­kre­ten Tätig­keits­be­rei­che wür­den sich maß­geb­lich unter­schei­den. Drit­tens muss der Arbeits­me­di­zi­ner am Ende sei­ner Arbeit ent­schei­den, ob sich gefun­de­ne Gefah­ren abstel­len las­sen, oder ob es statt­des­sen effek­ti­ver bzw. siche­rer wäre, als Maß­nah­me eine Vor­sor­ge zu tref­fen. Hier muss man den Umstand beto­nen, dass das Abstel­len der Gefahr häu­fig schnel­ler und (min­des­tens) eben­so effek­tiv wie das Tref­fen einer Maß­nah­me wäre. Trotz­dem wird in der arbeits­me­di­zi­ni­schen Pra­xis viel zu häu­fig eine Vor­sor­ge getroffen.

Sie sehen: Die Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung ist ein brei­tes The­men­feld, mit teils ver­wir­ren­den, juris­ti­schen Begrif­fen und viel Spiel­raum für Ermes­sen. Die­ser Text soll etwas mehr Klar­heit in die Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung brin­gen und auch ins­be­son­de­re Unter­neh­mern ver­mit­teln, dass es, neben der Unter­stüt­zung eines kom­pe­ten­ten Arbeits­me­di­zi­ners diver­se Hand­lungs­hil­fen gibt, um eine ganz­heit­li­che Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung zu erhalten.

Ein sehr plas­ti­sches Werk­zeug einer arbeits­me­di­zi­ni­schen Metho­de im Bereich der Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung ist eine soge­nann­te Risi­ko­ma­trix (auch Risi­ko­ma­trix nach Nohl). Dar­in stuft man Kate­go­rien für die Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit oder Wahr­schein­lich­keit des Wirk­sam­wer­dens einer Gefähr­dung ein: Ent­we­der es ist mit gerin­ger, mitt­le­rer oder hoher Wahr­schein­lich­keit gege­ben, dass sich eine Gefähr­dung rea­li­siert. Auf der zwei­ten Sei­te wird die Scha­dens­schwe­re ange­ge­ben, die von leich­ten Ver­let­zun­gen (etwa Prel­lun­gen), über mitt­le­re (etwa Kno­chen­brü­che) bis hin zu schwe­ren Ver­let­zun­gen (etwa Quer­schnitt­läh­mung bis hin zu Tod) reicht. Die Risi­ko­ma­trix macht also deut­lich, auf wel­che Unter­su­chun­gen eine struk­tu­rier­te Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung zuerst Wert legen soll­te (schwe­re Ver­let­zun­gen, die mit hoher Wahr­schein­lich­keit ein­tre­ten wer­den) und wel­che Unter­su­chun­gen erst nach­fol­gend statt­fin­den. Ein zwei­tes, anschau­li­ches Werk­zeug der wei­te­ren Abläu­fe ist der, auch in ande­ren Pro­zes­sen ver­wen­de­te, Deming­kreis (bzw. PDCA Zyklus): Dem Mus­ter Plan – Do – Check – Act fol­gend, wer­den bei einer Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung kei­ne arbeits­me­di­zi­ni­schen Emp­feh­lun­gen aus­ge­spro­chen oder Maß­nah­men getrof­fen, ohne dass nicht die Wir­kung deren Umset­zung klar im Auge behal­ten wird. Ein­mal inves­tiert, kom­men durch die­se Arbei­ten Pro­zes­se in Gang, die lan­ge nach­wir­ken und jeden Betrieb noch effi­zi­en­ter gestal­ten kön­nen. Dabei möch­te ich her­aus­stel­len, dass die gesetz­lich vor­ge­schrie­be­ne Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung weit mehr ist (oder sein kann), als eine blo­ße Pflicht zum Schutz der kör­per­li­chen und psy­chi­schen Gesund­heit der Beleg­schaft. Eine moder­ne Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung ist dane­ben eine her­vor­ra­gen­de Chan­ce, wei­ter an der eige­nen Arbeit­ge­ber­at­trak­ti­vi­tät zu arbei­ten und kom­pe­ten­te Mit­ar­bei­ter stär­ker an sich zu bin­den. Denn im Ergeb­nis ent­ste­hen durch das Abstel­len von Gefah­ren bzw. das Täti­gen diver­ser Maß­nah­men die Vor­aus­set­zun­gen für eine leis­tungs­fä­hi­ge Beleg­schaft und wei­te­ren wirt­schaft­li­chen Erfolg.

Die in § 5 des Arbeits­schutz­ge­set­zes gere­gel­ten Gefähr­dungs­even­tua­li­tä­ten sind breit gefä­chert und die­nen als Grund­la­ge für jede betrieb­li­che Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung. In Absatz 3 wird fest­ge­legt, dass sich eine betrieb­li­che Gefähr­dung aus unter­schied­li­chen Tat­sa­chen und Umstän­den erge­ben kann, wor­un­ter die Gestal­tung und Ein­rich­tung des Arbeits­plat­zes eben­so fällt wie eine unzu­rei­chen­de Unter­wei­sung der Beschäf­tig­ten. Im Herbst 2013 führ­te der Gesetz­ge­ber zudem die Beur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tun­gen am Arbeits­platz expli­zit in das Arbeits­schutz­ge­setz ein. Hier lässt sich ganz exem­pla­risch ein (eigent­lich unlo­gi­scher) Inter­es­sens­kon­flikt zwi­schen gesetz­li­cher Pflicht und unter­neh­me­ri­schen Inter­es­sen erken­nen. Die Her­aus­for­de­rung für Unter­neh­men besteht bereits dar­in, eine Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tun­gen durch­zu­füh­ren. Eine beson­de­re Rol­le spie­len dabei Füh­rungs­kräf­te und Mit­ar­bei­ter glei­cher­ma­ßen, deren Ein­schät­zung als Exper­ten für die zu beur­tei­len­de Arbeits­tä­tig­keit durch Fra­ge­bö­gen, Inter­views und Work­shops erfasst wer­den kann. Doch wel­che Instru­men­te und Metho­den sind für die Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tun­gen wirk­lich geeig­net? Hier ist noch vie­les im prak­ti­schen All­tag eines Arbeits­me­di­zi­ners unklar. Die Leit­li­ni­en der Gemein­sa­men Deut­schen Arbeits­schutz­stra­te­gie (2012) beschrei­ben zwar die Min­dest­an­for­de­run­gen der Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tung. Doch wer­den die jewei­li­gen Instru­men­te und Metho­den hier­in nicht benannt. Und obwohl uns eine Viel­zahl an Metho­den zur Ver­fü­gung ste­hen, kommt sowohl bei objek­ti­ven (etwa der Arbeits­platz­be­ob­ach­tung) als auch sub­jek­ti­ven Arbeits­platz­be­ob­ach­tun­gen (Befra­gung, Work­shops, Inter­views) immer noch der erschwe­ren­de Fak­tor ins Spiel, dass über psy­chi­sche Belas­tun­gen und Beschwer­den ger­ne geschwie­gen wird. Den­noch: Es ist ein Schritt nach vor­ne, dass durch die Novel­lie­rung des § 5 Arbeits­schutz­ge­setz erneut ein Fokus auf eine umfas­sen­de Beur­tei­lung der Gesund­heits­ge­fähr­dung gelegt wur­de. Auch gilt: Die Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung psy­chi­scher Belas­tun­gen ist für Unter­neh­men kei­ne unwirt­schaft­li­che Bür­de. Sie ist ein wei­te­res, effek­ti­ves Instru­ment einer moder­nen Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung und der nach­hal­ti­gen Siche­rung wirt­schaft­li­chen Erfolgs.

Die ers­te Umset­zung der betrieb­li­chen Gefähr­dungs­be­ur­tei­lung stellt für jedes Unter­neh­men eine gro­ße (kei­nes­falls aber schwie­ri­ge) und vor allem loh­nens­wer­te Her­aus­for­de­rung dar. Sel­ten las­sen sich in betrieb­li­chen Pflich­ten so klar loh­nens­wer­te Chan­cen fin­den, sich als Arbeit­ge­ber wei­ter­zu­ent­wi­ckeln zukunfts­fä­hig auf­zu­stel­len. Stu­di­en bele­gen, dass sich betrieb­li­che Prä­ven­ti­ons­ar­beit immer lohnt und dass sich jeder inves­tier­te Euro in einem wirt­schaft­li­chen Erfolgs­po­ten­ti­al von min­des­tens 2,20 Euro aus­zahlt. Hier­für sor­gen, neben einem bes­se­ren Image im Bereich Employ­er Bran­ding, eine höhe­re Moti­va­ti­on und Zufrie­den­heit der Mit­ar­bei­ter sowie eine deut­li­che Kos­ten­ein­spa­rung durch die Redu­zie­rung von krank­heits­be­ding­ten Pro­duk­ti­vi­täts­ein­bu­ßen. Gefähr­dun­gen am Arbeits­platz las­sen sich prä­ven­tiv ver­mei­den – und dabei kom­men Pro­zes­se in Gang, die nach­hal­tig posi­ti­ve Ein­flüs­se auf den unter­neh­me­ri­schen Erfolg haben.